Neues aus der Verbändelandschaft

Oswald Bubel: Energiesparen wird zu unser aller Aufgabe

Gastbeitrag des VSU-Präsidenten in der Saarbrücker Zeitung vom 29.07.2022

Im Konflikt mit Europa setzt Wladimir Putin auf eine effektive Waffe: Gas. Ganz nach Belieben dreht der russische Präsident den Gashahn mal auf und mal zu. Die Argumente können nur als vorgeschoben betrachtet werden. Nicht nur die Gasleitung Nord Stream 1 ist nach Aussage von Experten voll funktionsfähig, auch weitere Leitungen lässt Russland weitgehend ungenutzt. Die Strategie ist klar: Putin will Europa im Gasnotstand sehen.
Als Nord Stream 1 zehn Tage lang für eine Routine-Wartung außer Betrieb war, hat Europa wie das Kaninchen auf die Schlange nach Russland gestarrt; schockstarr angesichts der Aussicht, im kommenden Winter nicht nur zu frieren, sondern auch mit dem Stillstand der Industrie Arbeit und Einkommen zu verlieren. Und wenige Tage, nachdem das Gas zu aller Erleichterung wieder fließt, reduziert Putin erneut die Leistung. Es könnte ein heilsamer Schock sein, denn er hat unsere untragbare Abhängigkeit von Russland deutlich gemacht.
In den vergangenen Wochen haben Politik und Wirtschaft viel über das Vorgehen im Falle einer Notfall-Lage bei der Gas-Versorgung diskutiert. Welche Unternehmen möglicherweise abgeschaltet werden, inwiefern auch Bürger in die Pflicht genommen werden können, welche Einsparmöglichkeiten auf allen Ebenen genutzt werden können. Alles nur für den Fall der Fälle.
Diesen Ansatz halte ich für falsch. Wir müssen jetzt – und nicht erst in einer Notfall-Lage – alles tun, um den Gas- und Energieverbrauch zu reduzieren. Und zwar auf allen Ebenen. Bürger sind hier ebenso gefragt wie Unternehmen und Kommunen. Das ist unsere erste Pflicht.
Energieeffizienz-Netzwerke haben in der Vergangenheit viel Einsparpotenzial in Unternehmen zutage gefördert. Diese Erfahrung sollten wir schnell nutzen – in Betrieben ebenso wie in öffentlichen Gebäuden, denn es kostet Zeit, bis die Maßnahmen wirken. Auch in privaten Wohnungen schlummern Energiereserven. Der Tipp, kürzer zu duschen, ist keine Bevormundung, sondern ein wichtiger Sparhinweis. Zu vielen Menschen ist noch nicht bewusst, wie teuer Energie künftig wird. Es mag absurd erscheinen, aber im Hitzesommer müssen wir die gesamtgesellschaftliche Solidarität für den Winter wecken, unseren Energieverbrauch prüfen und reduzieren. Wirtschaftsminister Robert Habeck hat es auf den Punkt gebracht: „Jede Kilowattstunde zählt.“
All das gilt unabhängig von einer Notfall-Lage bei der Gasversorgung. Tritt diese ein, brauchen wir ganz neue Regeln: Dass Krankenhäuser besonderen Schutzes bedürfen, ist unstrittig, der Vorrang für Privathaushalte dagegen ist nur für eine regionale Gas-Störung sinnvoll. Bei einer deutschlandweiten Mangellage, sollten wir diesen in Frage stellen. Es geht dabei gar nicht um ein Entweder-oder – entweder warme Wohnzimmer oder eine funktionierende Industrie. Sondern um vertretbare Belastungen. Manch ein Unternehmen kann sicher Teile der Produktion abstellen, Glaswerke oder Verzinkereien fallen dagegen schon bei geringen Kürzungen komplett aus – mit dauerhaften Schäden an den Anlagen. Gleichzeitig ist vieles miteinander verwoben: Fällt beispielsweise der Hersteller von Spezialschrauben aus, steht die Autoindustrie, ohne Glas gibt es keine Impfstoffe und ohne die Grundstoffe von BASF fehlt die Basis für fast die gesamte Industrie.
Was es heißt, wenn Unternehmen in Deutschland stillstehen, ist vielen Menschen angesichts der vielen Rettungspakete der Vergangenheit offensichtlich nicht bewusst: Ohne Arbeit und Einkommen hilft auch der Vorrang für ein warmes Wohnzimmer nicht mehr. Oder kurz gefasst: Lieber frieren als pleite.

Kraftwerk und Stromnetz
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