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Paul Celan - Jubiläumsprojekt mit der Galerie Comebeck
Ab September 2021 dient das Verbandshaus als Ausstellungsort für ein besonderes Projekt der Galerie m beck. Zum 100. Geburtstag und zum 50. Todesjahr des Dichters Paul Celan hat Mathias Beck 50 bildende Künstler aufgefordert, Bilder zu Texten des Wort-Künstlers zu schaffen. Begleitet wird die Ausstellung durch eine Audio-Fassung der Gedichte, gelesen von Norbert Gutenberg, die per QR-Code abzurufen ist. Wegen Corona konnte die Ausstellung nicht im Jubiläumsjahr realisiert werden - nun findet sie 2021 statt.
Mit einer Vernissage wurde die Ausstellung Anfang September eröffnet. ME-Saar-Präsident Oswald Bubel erläuterte die Entstehungsgeschichte der Ausstellung, die Idee, zu den Dichtern außergewöhnliche Kunst zu schaffen. Norbert Gutenberg, Sprechwissenschaftler und emeritierter Professor der Universität des Saarlandes, der die Texte für die Audio-Fassung interpretiert hat, beschrieb in seiner Rede die Herkunft und Schaffensgeschichte des Künstlers Paul Celan, der 1920 als Paul Antschel in der Bukowina, in der heutigen Ukraine geboren wurde. Seinen Namen, der zwischenzeitlich rumänisiert Ancel geschrieben wurde, wandelte er selbst zu Celan um. Offen sind die Hintergründe seines Todes, da der stark vom Holocaust geprägte Dichter aber ausgerechnet am 20. April, "Führers Geburtstag", in seinem 50. Lebensjahr in der Seine ertrunken ist, geht die Wissenschaft vom einem Suizid aus.
Nachfolgend finden Sie einige ausgewählte Werke.
Paul Celan - Fünfzig
DIE ENTZWEITE DENKMUSIK
schreibt die unendlich gedoppelte
Schleife, durch die
lodernden
Null-Augen hindurch,
der drüber
zeltende Schrei
hebt sich auf, die Düne,
endlich geortet,
wirft sich hinüber zu ihm, ins Neue,
zieht ihn zu Rate, einmal,
andachtumsprungen,
für immer,
das trunken-
gebrannte
Kainszeichenim sprühenden,
halblaut hämmernden Holzschnee,
angestrahlt, aus-
geleuchtet vom jähen,
beharrlichen
Glockenspiel hinterm Holunder,
entschlummert, entschläft.
Entwegtes Übermaß speist
eine rauchige
Quelle.
ÜBER DREI im meer-
trunkenen Schlaf
mit Braunalgenblut
bezifferte Brust-
warzensteine
stülp deinen sich
von der letzten
Regenschnur los-
reißenden Himmel.
Und laß
deine mit dir hierher-
gerittene Süßwassermuschel
all das hinunter-
schlürfen, bevor
du sie ans Ohr
eines Uhrschatten hältst,
abends.
UNGEWASCHEN, UNBEMALT,
in der Jenseits-
Kaue:
da,
wo wir uns finden,
Erdige, immer,
ein
verspätetes
Becherwerk geht
durch uns Zerwölkte hindurch,
nach oben, nach unten,
aufrührerisch
flötets darin, mit Narren-
beinen,
der Flugschatten im
irisierenden Rund
heilt uns ein, in der Sieben-
höhe,
eiszeitlich nah
steuert das Filzschwanenpaar
durch die schwebende
Stein-Ikone
MITTERNACHT
Im Schilf, da stehn die Stunden - wo steht das Schilf?
Es steht in deinen Augen,
die ich nicht seh.
Hoch. Dicht. Satt. Tiefgrün.
Ich habe keinen Namen. (Der fault im Menschenmoor.)
Ich habe keinen Namen und nur die eine Hand.
(Die andre liegt beim Namen - sie knospt, sie knospt.
Mit hundert Fingern knospt sie: der Name fault und fault.)
Ich habe keinen Namen und nur die eine Hand:
ich greife mir zwei Kolben, ich greif die schwärzesten.
Ich bieg sie zueinander - die Zeit ist unsre Zeit.
WENN DU IM BETT
aus verschollenem Fahnentuch liegst,
bei blauschwarzen Silben, im Schneewimperschatten,
kommst, durch Gedanken-
güsse,
der Kranich geschwommen, stählern -
du öffnest dich ihm.
Sein Schnabel tickt dir die Stunde
in jeden Mund - in jeder
glöcknert, mit glutrotem Strang, ein Schweige-
Jahrtausend,
Unfrist und Frist
münzen einander zutode,
die Taler, die Groschen
regnen dir hart durch die Poren,
in
Sekundengestalt
fliegst du hin und verrammelst
die Türen Gestern und Morgen, - phosphorn,
wie Ewigkeitszähne,
knospt deine eine, knospt auch die
andere Brust,
den Griffen entgegen, unter
den Stößen -: so dicht,
so tief
gestreut
ist der sternige
Kranich-
Same.
DIE EINE eigen-
sternige
Nacht.
Aschendurchfadmet
stundaus, stundein,
von den Lidschatten zu-
gefallener Augen,
zusammengeschliffen
zu pfeildünnen
Seelen,
verstummt im Gespräch
mit luftalgenbärtigen
krauchenden Köchern.
Eine erfüllte
Leuchtmuschel fährt
durch ein Gewissen.
CHYMISCH
Schweigen, wie Gold gekocht, in
verkohlten
Händen.
Große, graue,
wie alles Verlorene nahe
Schwesterngestalt:
Alle die Namen, alle die mit-
verbrannten
Namen. Soviel
zu segnende Asche. Soviel
gewonnenes Land
über
den leichten, so leichten
Seelen-
ringen.
Große. Graue. Schlacken-
lose.
Du, damals.
Du mit der fahlen,
aufgebissenen Knospe.
Du in der Weinflut.
(Nicht wahr, auch uns
entließ diese Uhr?
Gut,
gut, wie Dein Wort hier vorbeistarb.)
Schweigen, wie gold gekocht, in
verkohlten, verkohlten
Händen.
Finger, rauchdünn. Wie Kronen, Luftkronen
um --
Große. Graue. Fährte-
lose.
König-
liche.
ZU BEIDEN HÄNDEN, da
wo die Sterne mir wuchsen, fern
allen Himmeln, nah
allen Himmeln:
Wie
wacht es sich da! Wie
tut sich die Welt uns auf, mitten
durch uns!
Du bist,
wo dein Aug ist, du bist
oben, bist
unten, ich
finde hinaus.
O diese wandernde leere
gastliche Mitte. Getrennt,
fall ich dir zu, fällst
du mir zu, einander
entfallen, sehn wir
hindurch:
Das
Selbe
hat uns
verloren, das
Selbe
hat uns
vergessen, das
Selbe
hat uns - -
IN DER FERNSTEN
Nebenbedeutung, am Fuß der gelähmten
Amen-Treppe:
die kahlgeplünderte
Phase Dasein,
nahebei, in der Gosse,
nudeln noch
Sprüche,
traumfaserverstärkt das Profil
der Schlafausscheidung,
an ihrer einen
herztätigen Schläfe
bildet sich Eis,
kein Buch schlägt sich auf,
das Übernichts hat sich
zu mir geschlagen,
es gibt seinen Kampf auf,
im Eis,
wir sind bereit,
das Tödlichste in uns zu tauschen,
der Dorn, der das Freizeichen gab,
steigt durch die Wiegen,
hinter der Stechuhr verschenkt sich
die wahnfeste Zeit.